Als Therapeut oder Therapeutin begegnet man vielen Menschen mit diffusen Symptomen: Depressionen, Burnout, Ängste. Doch was, wenn ein entscheidender Teil der Problematik im Verborgenen bleibt? Die Wohnsituation von Menschen im Messie-Spektrum ist oft ein Spiegel ihrer inneren Kämpfe und wird dennoch in vielen Therapien kaum thematisiert.
Warum die Wohnsituation entscheidend ist
Unordnung ist nicht nur ein äußeres Problem. Sie ist oft ein Hinweis auf tieferliegende Traumata, ungelöste Konflikte oder emotionale Überforderung. Doch in der therapeutischen Praxis wird diese Ebene häufig übersehen.
Viele Klientinnen und Klienten sprechen nicht von ihrer Wohnsituation. Die Scham ist zu groß, um Bilder zu zeigen oder Details zu teilen. Ohne dieses Wissen bleibt jedoch ein wichtiger Aspekt der Lebensrealität unbeachtet, was den Therapieerfolg deutlich einschränken kann.
Beispiel 1: Unordnung als Ausdruck von Schmerz
Ein Klient war seit Jahren in Behandlung. Die Therapie konzentrierte sich auf seine depressive Verstimmung, begleitet von Medikamenten und Gesprächen. Die wahre Herausforderung blieb jedoch unerwähnt: Seine vermüllte Wohnung. Als ich ihn besuchte, sah ich die wahren Dimensionen. Die Wohnung spiegelte seinen inneren Zustand wider: Berge von unerledigten Aufgaben und Gegenständen, die er nicht loslassen konnte. Während wir die Unordnung angingen, kamen einige Themen zum Vorschein. Er hat in der Therapie diese nie angesprochen: Kindheitstraumata, Versagensängste und die tiefe Scham, die ihn davon abhielt, sich zu zeigen.
Beispiel 2: Die Wohnsituation als Spiegel innerer Konflikte
Eine andere Klientin erzählte, dass sie seit Jahren an Angststörungen litt. Sie hatte gelernt, ihre Symptome zu bewältigen, doch die Unordnung in ihrer Wohnung blieb bestehen. Im Gespräch erklärte sie, dass sie ihren Therapeuten nie konkret von ihrer Wohnsituation erzählt hatte. Sie schilderte nur, dass sie zu viel Zeug hat und zuhause eine grosse Unordnung herrscht. Die Scham war zu groß, die Angst vor der Verurteilung überwältigend. Dabei war die Unordnung kein Zufall, sondern war Ausdruck ihres inneren Chaos. Ein direkter Hinweis auf die Themen, die eigentlich behandelt werden müssten.
Was bedeutet das für die therapeutische Praxis?
Als Therapeut hast du die Möglichkeit, den entscheidenden Unterschied zu machen, indem du die gesamte Lebensrealität deiner Klientinnen und Klienten einbeziehst.
1. Frage gezielt nach der Wohnsituation
Wenn deine Klientin oder dein Klient von Unordnung spricht, bleib achtsam. Frage nach Details und ermutige dazu, dir Bilder zu zeigen. Das mag zunächst eine Hürde sein, kann jedoch einen beachtlichen Wendepunkt in der Therapie darstellen.
2. Baue Vertrauen auf
Scham ist eine starke Barriere. Viele Menschen im Messie-Spektrum haben Angst vor Verurteilung und ziehen sich deshalb zurück. Deine Aufgabe ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Offenheit möglich ist. Zeige, dass du nicht wertest, sondern verstehst. Nur so kannst du die notwendige Basis schaffen, um auch schwierige Themen wie die Wohnsituation anzugehen.
3. Vermeide Standardlösungen
Jede Person ist einzigartig, ebenso wie die Ursachen und Auswirkungen der Unordnung. Standardansätze wie reine Gesprächstherapie oder medikamentöse Behandlung reichen oft nicht aus. Nutze dein Fachwissen, um individuell zu arbeiten: Ist eine Traumatherapie notwendig? Oder könnte eine Verhaltenstherapie helfen, neue Routinen zu entwickeln?
4. Hausbesuche
Durch Hausbesuche erweiterst du dein therapeutisches Setting und kannst gerade bei Personen im Messie-Spektrum wichtige Impulse für echte, nachhaltige Veränderung setzen. Es wird dir helfen, die Lebensrealität deiner Klientinnen und Klienten besser zu verstehen. Ein solcher Besuch kann eine vertrauensvolle Basis schaffen, um gezielter an den tieferliegenden Ursachen zu arbeiten.

Unordnung: Mehr als ein Symptom
Die Wohnsituation ist ein entscheidender Teil der Lebensrealität vieler Menschen im Messie-Spektrum. Sie spiegelt innere Konflikte wider und zeigt, wo die eigentliche Arbeit beginnen muss. Als Therapeut kannst du deinen Klientinnen und Klienten helfen, indem du diese Dimension aktiv einbeziehst.
Der erste Schritt besteht darin, Scham zu durchbrechen und die Wohnsituation offen anzusprechen. Nur so lässt sich der Weg zu einer zielgerichteten Therapie ebnen, die nicht nur oberflächliche Symptome behandelt, sondern zu nachhaltiger Veränderung führt.

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