Hier kannst du einige Interviews zum Messie-Spektrum lesen. Es kann hilfreich sein, die Hintergründe zu kennen, um das Messie-Spektrum besser zu verstehen. Es kommen Betroffene und Angehörige zu Wort.
Weil das Thema sehr schambehaftet ist, möchten die Leute anonym bleiben. Aus Personenschutz-Gründen habe ich Avatare erstellt und die Namen geändert. Einfach auf die Bilder klicken.
Interview mit Susan , Betroffene:
Esther: Hallo Susan, danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Kannst du uns ein bisschen über dich selbst erzählen?
Susan: Hallo, gerne! Ich bin Susan, 43 Jahre alt, habe ADHS und bin hochbegabt. Seit meiner Kindheit fühle ich mich unverstanden und kämpfe mit meinen Wutausbrüchen. Als Kind hatte ich keine Freunde, weil ich so unberechenbar war und niemand mit mir zurechtkam. Deshalb war ich oft alleine zu Hause und habe angefangen, schöne Dinge zu sammeln.
Esther: Das klingt nach einer schwierigen Kindheit. Gab es weitere Herausforderungen in deiner Familie?
Susan: Ja, als ich acht war, bekam meine Mutter noch ein Kind. Es war ein Junge, aber leider hatte er eine geistige Beeinträchtigung. Bei der Geburt war die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt, sodass sein Gehirn nicht genug Sauerstoff bekam. Dieser Junge brauchte viel Aufmerksamkeit, und ich geriet in den Hintergrund. Ich fühlte mich nicht mehr gesehen und wurde dadurch sehr traurig. Mein ADHS war für meine Familie leider störend, und meine Mutter brachte mich zu meinen Großeltern, damit sie sich um mich kümmern konnten.
Esther: Wie war es, bei deinen Großeltern zu leben?
Susan: Meine Oma war großartig und kümmerte sich liebevoll um mich. Von ihr lernte ich kreative Tätigkeiten wie Nähen und Stricken, und bei meinem Opa durfte ich in der Holzwerkstatt mitarbeiten. Dadurch konnte ich meine künstlerische Ader ausleben, entwickelte aber auch eine starke Sammelleidenschaft. Jetzt wächst mir das ganze Material über den Kopf. Ich habe schon zwei Lagerräume angemietet, die aus allen Nähten platzen.
Esther: Deine Sammelleidenschaft hat also schon früh begonnen. Wie hat sich das im Laufe der Zeit entwickelt?
Susan: Mit der Zeit entwickelte ich eine Depression und kann mich kaum noch um meine Habseligkeiten kümmern. Die Sachen verstauben, manchmal fällt etwas um, und es entstehen regelrechte Berge, die schwer und gefährlich zu überwinden sind. Seit Jahren fühle ich mich sehr einsam, weil meine Sammelleidenschaft auch meine einzige Beziehung zu einem Mann zerstört hat. Kaum jemand in meinem Umfeld kann mit meinem Messie-Syndrom umgehen. Ich werde oft verurteilt, und die Leute verstehen nicht, dass mir all diese gesammelten Dinge Sicherheit bieten. Wenn mir die Außenwelt zu viel wird, flüchte ich mich in meine Kreativität. Es gibt mir Halt zu wissen, dass ich mich jederzeit beschäftigen kann. Wegen meines ADHS brauche ich viele verschiedene Projekte, denen ich mich widmen kann.
Esther: Wie sieht dein soziales Leben aus? Hast du Unterstützung von Freunden oder Gleichgesinnten?
Susan: Ich bin online gut vernetzt mit Bastelfreunden und Künstlern. Wir helfen uns gegenseitig mit Material und Tipps. Manchmal gehe ich auch raus und schaue nach brauchbaren Dingen, die andere Leute wegwerfen. Es fällt mir schwer, schöne Sachen am Wegrand stehen zu lassen. Momentan überlege ich, ob ich einen dritten Raum anmieten soll. Allerdings habe ich keine Kinder oder Verwandten, die mich unterstützen könnten, falls ich mich mal gar nicht mehr darum kümmern kann. Das macht mir großen Druck, weil ich nicht weiß, wohin die Sachen kommen, wenn ich nicht mehr lebe.
Esther: Das klingt nach einer belastenden Situation. Hast du Pläne oder Strategien, um damit umzugehen?
Susan: Zwischendurch fühle ich mich sehr zerrissen und frage mich, was das alles soll. Als Künstlerin habe ich noch keinen Durchbruch erzielt, und deshalb fühlt sich das Ganze manchmal sehr sinnlos an. Wenn ich diese Sinnlosigkeit erkenne, kommt die große Depression und dann geht gar nichts mehr. Es ist ein Teufelskreis, aus dem ich nicht herauskomme. Ich habe mich in Therapie begeben, um diesen Kreislauf zu durchbrechen, aber bisher hat nichts geholfen. Ich bin ziemlich ratlos und würde mich über eine Entlastung freuen. Diese Hoffnung hilft mir, den Zustand zu ertragen.
Interviewer: Verstehe. Hast du jemals darüber nachgedacht, einen Neuanfang zu wagen, vielleicht an einem anderen Ort?
Susan: Manchmal ist es schwer. Am liebsten würde ich alles hinter mir lassen und an einem anderen Ort neu anfangen, aber auch dieser Gedanke macht mir Todesangst. Wenn ich konkret darüber nachdenke, bekomme ich Panikattacken. Ich möchte mich befreien, weiß aber nicht wie. Jede Hilfe, die ich erhielt, griff ins Leere. Ich bin nicht bereit, etwas zu verändern. Ich bin wie blockiert und habe keine Ahnung, woher das kommt. Tipps von Leuten, die nicht in meiner Situation sind, blockieren mich total. Meistens sind es radikale Tipps, die mir sehr unangenehm sind. Ein normaler Mensch kann locker mal ausmisten, aber für mich ist es eine Katastrophe. Wenn ich ans Ausmisten denke, fühle ich mich, als würde man mir etwas amputieren oder mir das Herz herausreißen. Ich hänge an meinen Sachen, seit meiner Kindheit.
Esther: Vielen Dank, Susan, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast.
Interview mit Peter, Betroffener:
Esther: Hallo Peter, danke, dass du bereit bist, deine Geschichte mit uns zu teilen. Kannst du uns etwas über dich erzählen?
Peter: Ich bin Peter, 68 Jahre alt, und mir ist alles über den Kopf gewachsen. Als sich meine Frau vor etwa 10 Jahren von mir scheiden ließ, weil sie einen anderen Mann kennengelernt hatte, fiel ich in ein tiefes Loch. Aus Frust begann ich, zu viel Alkohol zu trinken, und saß allein in dem Haus, das ich für uns gekauft hatte.
Esther: Das muss eine sehr schwere Zeit für dich gewesen sein. Wie war dein Leben, bevor die Eheprobleme begannen?
Peter: Früher war ich voller Hoffnung und Freude über meine zwei Kinder und die schöne Ehe, die wir hatten. Ich war Außendienstler für eine Maschinenbaufirma und sehr viel unterwegs. Ich verdiente gutes Geld und war, meiner Meinung nach, sehr glücklich. Irgendwann begann meine Frau jedoch unzufrieden zu sein. Sie war mit den Kindern und dem Haushalt scheinbar nicht ausgelastet und wollte mehr reisen, was ich wegen meiner Arbeit nicht konnte.
Esther: Wann hast du bemerkt, dass sich etwas verändert hat?
Peter: Als die Kinder größer und selbstständig wurden, ging sie viel weg von zu Hause und kam plötzlich sehr glücklich zurück. Dann ging alles den Bach runter. Sie hatte sich auf einer Reise verliebt. Zwischenzeitlich ging es mir wegen des Stresses bei der Arbeit nicht mehr gut. Ich hatte einen Herzinfarkt und musste lange zu Hause bleiben. Daraufhin wurde unsere Ehe immer schlechter, und meine Frau reichte die Scheidung ein. Sie wollte einfach nur noch raus, und ich konnte es nicht verstehen.
Esther: Das muss sehr schmerzhaft gewesen sein. Wie hast du die Zeit nach der Scheidung erlebt?
Peter: Als sie ausgezogen war, saß ich alleine in unserem schönen Haus. Die Kinder waren auch schon ausgezogen, und das nahm mir den Lebensmut. Als ich in Rente ging, bin ich fast nicht mehr rausgegangen, habe alle meine Sozialkontakte abgebrochen und begann, zu viel Alkohol zu trinken. Das ging eine Zeit lang gut, aber dann merkte ich, dass ich mich nicht mehr um mich kümmern konnte. Mein Haus war komplett zugemüllt, innerhalb von etwa fünf Jahren. Meine Kinder besuchen mich nicht mehr, weil sie nicht ertragen können, wie ich lebe. Zu meiner Frau habe ich keinen Kontakt mehr.
Esther: Das klingt nach einer sehr isolierten und schwierigen Situation. Was hat dich dazu bewegt, etwas zu ändern?
Peter: Mittlerweile versuche ich, da rauszukommen. Ich bin neu in eine Selbsthilfegruppe eingetreten und mache eine Gesprächstherapie. Dabei kam heraus, dass ich schon als Kind in einer Großfamilie emotional zu kurz gekommen bin. Um Bestätigung zu bekommen, habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Das war mir früher nicht bewusst. Jetzt bin ich in der Lage, mein Leben zu reflektieren. Das war aber ein langer Prozess. Ich musste viel verlieren, um mich wiederzufinden.
Esther: Welche Erkenntnisse hast du aus dieser Reflexion gewonnen, und was würdest du anderen in ähnlichen Situationen raten?
Peter: Ich habe erkannt, wie wichtig es ist, sich professionelle Hilfe zu holen. Möglichst noch bevor alles zu spät ist. Es ist ein harter Weg, aber es lohnt sich. Ich kann jedem dazu raten, sich Unterstützung zu suchen und offen für Veränderungen zu sein.
Esther: Danke Peter für deine Offenheit und dieses Gespräch.
Interview mit Barbara , Betroffene
Esther: Hallo Barbara, vielen Dank, dass du bereit bist, deine Geschichte zu erzählen. Kannst du uns ein bisschen über deine aktuelle Situation und die letzten Jahre berichten?
Barbara: Hallo, gerne. Ich bin 53 Jahre alt und seit zwei Jahren in psychiatrischer Behandlung. Vor sechs Jahren habe ich meinen Job verloren, weil ich krankheitshalber immer wieder ausgefallen bin. Ich bin depressiv und bin in ein Burnout gerutscht, weil ich zu viel gearbeitet habe. Das glaube ich zumindest. Die Psychiater sagen andere Sachen, aber das kann ich nicht so gut annehmen. Mir geht’s einfach schlecht.
Esther: Das klingt sehr belastend. Hattest du jemals den Wunsch, eine Familie zu gründen?
Barbara: Ich war schon immer Single und hatte auch nie das Bedürfnis, eine Familie zu haben. Meine Kindheit war so lala, nichts Besonderes. Ich denke, dass dort nicht der Grund für meine psychische Krankheit zu suchen ist. Wenn ich aber zurückdenke, weiß ich, dass meine Beziehungen zu Männern, die ich als Jugendliche hatte, nicht so förderlich für meine Entwicklung waren. Ich war schon immer auf ältere Männer fixiert, weil ich früh wusste, dass ich keine Kinder haben möchte.
Esther: Warum glaubst du, hattest du diese Vorliebe für ältere Männer?
Barbara: Woher das kommt, hat noch kein Psychologe herausgefunden, und ich auch nicht. Ich glaube aber, dass ich aufgrund meiner depressiven Verstimmungen jemanden gesucht habe, der die Verantwortung für mich übernimmt, weil ich keine Verantwortung übernehmen konnte. Im Berufsleben hat man das noch nicht so gemerkt, weil dort alles sehr strukturiert war. Zu Hause war ich auch immer sehr darauf bedacht, dass ich schöne Sachen habe.
Esther: Wie hast du deine Freizeit gestaltet, besonders in den Zeiten, in denen es dir besser ging?
Barbara: Gerne habe ich Besuch empfangen, wenn es mir gut ging. Natürlich habe ich in den schlechten Zeiten die Fensterläden zugemacht und einfach gewartet, bis die Depression vorbei war. Je älter ich wurde, desto öfter kamen die depressiven Schübe. Mein Arbeitgeber hat das leider nicht lange mitgemacht, und so habe ich vor sechs Jahren meinen Job verloren. Und dann kam Corona.
Esther: Wie hat die Pandemie deine Situation beeinflusst?
Barbara: Ich hatte immer weniger Kontakt zur Außenwelt und verbrachte viel Zeit im Internet. Da ich vorher gut verdient habe, bestellte ich wie eine Weltmeisterin Dinge. Alle Umverpackungen und Utensilien liegen nun kreuz und quer in meiner Wohnung herum. Ich öffne keine Post mehr, und alles wächst mir über den Kopf. Die Lockdowns und Hiobsbotschaften haben meine Depressionen so sehr verschlimmert, dass ich es alleine zu Hause nicht mehr ausgehalten habe. Ich bin total vermüllt.
Esther: Das muss sehr belastend sein. Gab es konkrete Situationen, die das Ausmaß deines Problems verdeutlichten?
Barbara: Meine Wohnung ist sogar so zugemüllt, dass ein Elektriker gesagt hat, er könne hier die neue Leitung nicht legen, die von der Verwaltung angeordnet wurde, weil er in einer Messie-Wohnung nicht arbeiten kann. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie das gehen soll. Ich traue mich nicht, in meinem Umfeld zu schildern, wie es bei mir zu Hause aussieht. Meistens habe ich Angst, dass sie mich verurteilen und ich nachher noch schlechter dran bin als vorher.
Esther: Was denkst du, könnte dir in deiner aktuellen Situation helfen?
Barbara: Wenn ich jetzt jemanden hätte, der mir beim Aufräumen hilft, könnte ich es schaffen. Das würde mir und meiner Psyche sicher gut tun. Aber wo fange ich an?
Esther: Vielen Dank, Barbara, dass du deine Erfahrungen und Herausforderungen mit uns geteilt hast.
Interview mit Franzi, Angehörige
Esther: Hallo Franzi, vielen Dank, dass du bereit bist, deine Geschichte mit uns zu teilen. Kannst du ein bisschen über deine Kindheit erzählen?
Franzi: Hallo, gerne. Meine Mutter ist ein Messie, und seit ich denken kann, lebe ich im Chaos. Meine Kindheit war sehr inspirierend und lustig. Ich konnte immer basteln, wann immer ich wollte, und musste nicht viel aufräumen. Allerdings gab es in der Familie immer wieder Diskussionen, weil mein Vater mit der Situation überfordert war.
Esther: Wie hat dein Vater auf die Unordnung reagiert?
Franzi: Das ging sogar so weit, dass er immer wieder zurück zu seinen Eltern zog, um Abstand zu gewinnen. Die Unordnung ging bis ins Schlafzimmer, wo kein Platz mehr für ihn war. Er war stellenweise sehr verzweifelt. Ich als Kind habe nicht gespürt, welchen Druck die Unordnung zu Hause auf die Familie ausübte.
Esther: Wie war deine Mutter in dieser Situation?
Franzi: Meine Mutter war eine sehr engagierte Person. Sie hat sich in verschiedenen Vereinen eingebracht und viele Veranstaltungen organisiert, wie Flohmärkte, und hat auch in einer Brockenstube ausgeholfen. Das hatte natürlich zur Folge, dass sie immer mehr Sachen nach Hause brachte. Meine Mutter ist ein Nachkriegskind und musste sehr viel sparen. Sie hatten in der Familie wenig Geld und mussten viel arbeiten. Ihre Eltern waren sehr streng und gläubig. Um aus dem Mangel herauszukommen, hat sie begonnen zu sammeln. Ich glaube, das fing schon mit 18 Jahren an, als sie von zu Hause auszog.
Esther: Wie hat dein Vater versucht, mit dem Chaos umzugehen?
Franzi: Jedes Mal, wenn mein Vater versuchte, etwas Ordnung in das Chaos zu bringen, ging meine Mutter in den vollen Widerstand. Sie haben nicht großartig gestritten, das hätte ich mitbekommen. Aber meine Mutter war sehr hart und hat stark geblockt. Heute kann ich den Stress, den mein Vater hatte, verstehen, und meine Mutter verstehe ich auch.
Esther: Wie wirkt sich die Situation jetzt auf dich aus?
Franzi: Meine Eltern kommen jetzt in ein Alter, in dem sie sich nicht mehr selbst helfen können. Ich frage mich, wie viel Verantwortung ich als Kind einer Sammlerin übernehmen soll. Ich habe mich mit meiner Psychologin ausgetauscht, und sie meint, dass ich mich selbst schützen muss. Als Kind war es für mich abenteuerlich, aber wenn ich heute in die Wohnung komme und sehe, wie meine Eltern leben, macht es mich sehr traurig. Jetzt ist mir auch klar, warum ich früh ausgezogen bin. Aber das zu erkennen, war auch ein langer Prozess.
Esther: Was sind deine größten Sorgen für die Zukunft deiner Eltern?
Franzi: Ich frage mich, was passiert, wenn meine Mutter vielleicht einen Unfall hat oder mein Vater vor ihr stirbt. Wie geht es dann weiter? Es gibt nicht viele Dinge, die ich aus der Wohnung mitnehmen würde, aber ich weiß auch nicht, was ich ihr ins Altersheim mitgeben soll. Ich stelle mir so viele Fragen und merke, wie ich total überfordert bin mit diesem Thema.
Esther: Hast du Unterstützung oder jemanden, der dir hilft, diese Situation zu bewältigen?
Franzi: Glücklicherweise habe ich mich informiert und bin auf dich, Esther, gestoßen. Du konntest mir helfen, meine Gedanken zu sortieren und Abstand zu gewinnen. Nach diesen Coaching-Gesprächen war ich beruhigt. Ich nehme es jetzt, wie es kommt, und gehe einen Schritt nach dem anderen.
Esther: Vielen Dank, Franzi, dass du uns deine Geschichte erzählt hast.